Größer, lauter und reichlich Effektkram. So könnte man in einem Satz die Veränderung zusammenfassen, die Filmtheater in den letzten 25 Jahren durchlaufen haben. Vorbei die Zeit der kleinen Kinos, wo eine Dame per Hand den Vorhang beiseite schob und der analoge 35mm-Projektor im Hintergrund surrte. Wenn man heutzutage als Unternehmer ein erfolgreiches Kino führen will, braucht man viel Kapital. Um damit die neuesten Popcorn-Blender einer Horde von Kulturbanausen in großen 3D-Hightech-Palästen servieren zu können. Dass Kino einst ein echtes Kulturgut war, fällt schwer zu glauben, hat man es damals nicht selber miterlebt. Aber vielleicht trügt die Erinnerung ja auch und früher waren Kinos bis auf modernere Technik nicht viel anders als heute?
Die Geschichte des Kinematographen geht weit zurück ins frühe zwanzigste Jahrhundert – einer Zeit des Stummfilms, wo die Bilder laufen lernten. Recht schnell etablierte sich diese Form der Unterhaltung, war sie doch bequem, kurzweilig und gesellig zugleich. Und jede neue technische Innovation führte in den folgenden Zeiten immer wieder zu einer kleinen Renaissance des Kinos. Erst der Tonfilm, dann die Farbe. Später kamen Sonderformen wie das Autokino, das Geruchskino (kein Witz) und das Pornokino hinzu. Dann waren wieder technische Innovationen am Zug, wie z. B. der Surround-Sound oder der 3D-Boom der jüngeren Gegenwart.
Bremer Kinos der Achtziger – äußerst besondere Orte
Meine Geschichte beginnt in den frühen Achtzigern, in einer Zeit, wo die ersten Multiplex-Kinos mit mehreren Sälen populär wurden. Für mich als Kind waren Kinos besondere Orte mit besonderen Eigenschaften. Dunkle Säle als Kontrast zur grellen Außenwelt, seltsame Geruchsmischungen aus Popcorn und alten Stoffbezügen, wo Krethi und Plethi schon reingefurzt hatten. Dazu diese riesige Leinwand, auf der sich etwas Interessantes abspielte. Dieses Kino-Flair hatte eine Magie an sich, die in kommenden Zeiten immer mehr verpuffen sollte. Aber davon sollte ich damals noch nichts wissen. Es gab in meiner Heimatstadt Bremen zu der Zeit gut ein Dutzend Kinos. Darunter vier Exemplare, die man schon als größere Lichtspielhäuser bezeichnen konnte: das Europa, die Stern-Lichtspiele, den Ufa-Palast und das U.T.-Kinocenter.
Erinnerungen ans Europa Kino (1926 – 1999)
Der Europa-Filmpalast als eines der ältesten Kinos in Bremen wurde 1926 aus einem ehemaligen Operettenhaus an der Bahnhofstraße errichtet und 1944 im Eifer des Kriegsgefechts zerstört. Doch das fleißige Nachkriegsvolk baute den Palast 1950 an gleicher Stelle wieder auf. Gut dreißig Jahre später wurde dieses Kino für mich zu einem besonderen Ort, den ich regelmäßig und gerne aufgesucht habe.
Denn links gegenüber befand sich die Kiefert-Imbisskette, die nach meinem wöchentlichen Kinder-Schwimmprogramm im Zentralbad Pflichtprogramm war. So saß ich jede Woche ausgehungert bei Schnitzel und Pommes und schaute rüber zum Europakino, wo über dem Eingang das neueste Filmplakat angeleimt wurde. Und das war kein Digitaldruck, sondern handgepinselte Einzelanfertigungen, extra für dieses Kino angefertigt. Das Plakat von „Superman II – Allein gegen alle“ (1980), sehe ich noch heute aus dem Imbiss heraus plastisch vor Augen.
Ein paar Jahre später grassierte 1984 der „Ghostbusters“-Hype, und auch wenn mir noch ein paar Jahre für den ab zwölf Jahren freigegebenen Film fehlten, gab es an der Kasse keine Probleme. Also hinein in den prächtigen, mit roten Bezügen ausgestatteten Saal und „den“ Kultfilm der Achtziger geschaut. In den Folgejahren war dieses Kino eigentlich immer erste Wahl, wenn ein Kinobesuch anstand. Darunter „Batman“ und „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“, für die 1989 groß die Webetrommel gerührt wurde. Da im Europa immer nur ein Film zurzeit lief, musste bei Bedarf ein zweites Stamm-Kino her. Und das befand sich gut 200 Meter Luftlinie entfernt in Richtung Hauptbahnhof.
Erinnerungen ans U.T. Kinocenter (1948 – 2001)
Wie beim Europakino beendete eine Weltkriegsbombe 1945 den Betrieb des alten Tivoli-Theaters – doch bereits 1948 eröffnete dort das Union-Theater (später U.T. Kinocenter). Als nachträglich umgebautes Multiplex-Kino bot es meiner Kindheit stets eine Auswahl an bis zu neun Filmen, die jeden Donnerstag im lokalen Käseblatt auf der Kinoseite groß präsentiert wurden.
Außergewöhnlich machte das U.T. die Gesamtkomposition des Gebäudes, die alles andere als aus einem Guss wirkte. Durch den neoklassizistischen Eingangsbereich mit den massiven Türen gelangte man in den Vorraum, der mehr an eine Bahnhofswartehalle erinnerte. Und direkt neben dem Kassenbereich gab es eine kleine Mini-Spielhalle mit Arcade-Automaten und Flippern, die wie ein reingeschobener Fremdkörper wirkte. Aber nicht weniger reizvoll war.
Denn das war meine erste Anlaufstelle: „Flying Shark“, „Arkanoid“ und der „Fire!“-Flipper warteten auf Silbergeld. Von der Kasse her hörte man ab und zu ein »Die Automaten sind ab 18!« im Hintergrund keifen. Ich nahm das eher als Empfehlung zur Kenntnis und … *klong* … rein mit der Mark in den Automaten. Nach der traditionellen Ballerorgie ging es dann durch labyrinthartige Gänge in den jeweiligen Kinosaal, wo eine Platzanweiserin penibel darauf achtete, dass man sich auch wirklich in der gebuchten Preisklasse niederließ.
Eine weitere Anekdote zum U.T.: „Basic Instinct“ kam 1992 in die deutschen Kinos, und ich entschied mit einem Kumpel, dass wir uns den im U.T. unbedingt anschauen müssen. Eigentlich waren wir ja nur aus einem Grund dort – BILD bezeichnete „Basic Instinct“ als „den schweinischsten Film aller Zeiten“ und verkündete großspurig, dass man in der berüchtigten Verhörszene Sharon Stones blanke Mimi sieht. Ich weiß noch, wie wir völlig enttäuscht den Saal verließen, war die Szene nur den Bruchteil einer Sekunde lang. Und Sharon Stone hätte vom Hamster bis zum Hanfbier alles zwischen ihren Beinen präsentieren können – man hätte es nicht erkannt.
Langsamer Tod der etablierten Kinos
Der langsame Tod der alteingesessenen Kinos begann in Bremen um 1998. Die CinemaxX Holdings GmbH errichtete direkt am Hauptbahnhof einen modernen Multiplex-Kinopalast mit 3000 Sitzplätzen. Der größte Saal bot neben 600 Sitzplätzen eine für damalige Verhältnisse enorme Leinwand von 200 m². Im selben Jahr führte es auch mich hinein. Es war der neunte „Star Trek“, und auch wenn der Film mich nicht besonders vom Hocker gehauen hat, so gab es an der schönen neuen Kinowelt nicht viel auszusetzen. Der typische Saalgeruch der älteren Kinos fehlte zwar, aber eigentlich war es das klassische Kinoerlebnis, nur alles viel moderner und größer.
Und da es noch größer geht, wurde 1999 gleich der nächste Kino-Palast am Stadtrand eröffnet. Mit 11 Sälen und 3.333 Sitzplätzen lockte nun der CineStar Kristall-Palast. Da für mich Kinos zu der Zeit nicht mehr den Reiz wie früher hatten, habe ich mich da nie hinein verirrt. Dasselbe gilt für das 2004 errichtete Cinespace. Der größte Saal mit satten 674 Plätzen und der speziell für den 3D-Genuss konstruierte 3D-Saal mit 600 m² großer Leinwand waren für mich bis heute keine ziehenden Gründe, mir dieses Hightech-Theater anzutun.
Was sich damals langsam abzeichnete, war, dass dieses neue kinematographische Pfund den eh schon finanziell angeschlagenen mittelgroßen Filmtheatern langsam aber sicher den Todesstoß versetzen musste. Bereits 1998 schlossen die Stern-Lichtspiele, ein Jahr später das Europa und Anfang des neuen Jahrtausends erwischte es letztendlich auch den Ufa-Palast. Und wenig später das U.T.-Kinocenter. Damit waren alle mittelgroßen Kinos in Bremen ausgelöscht, und nur die drei Schwergewichte sowie ein paar kleine Kommunalkinos blieben.
Reise durch ein paar moderne Kinos der Republik
Auch wenn mein Bedarf nach Kino im Vergleich zur Kindheit und Jugend auf ein Minimum gesunken ist, so zog es mich in den letzten Jahren (mal mehr und mal weniger freiwillig) immer wieder dort hinein. Das CinemaxX in Hamburg-Dammtor habe ich nicht nur aufgrund der brutalen Lautstärke in Erinnerung. Eine Verabredung führte mich dorthin und das für ein Date passend ausgewählte Splatter-Machwerk „Saw V“ wurde gebucht. Mir schmerzten nach einem Kinobesuch selten so die Ohren. Und das lag nicht nur an meiner Begleitung, die ihre Schokolade neben mir lautstark schmatzte, sondern auch an der völlig übersteuerten Tonanlage mit Tinnitus-Garantie.
Ein Kino, das positiv hängen blieb, war der Cinedom in Köln. Als ich vor einigen Jahren auf Dienstreise war, fand ich, dass neben dem obligatorischen Besuch der Claudius-Therme auch mal wieder Zeit fürs Kino sein müsste. Und da direkt am Mediapark Kölns zweiter Dom steht, stand das Abendprogramm fest. Ich machte mich vom Maritim ein paar Stationen mit der U-Bahn auf den Weg. Am Mediapark angekommen, staunte ich nicht schlecht. Dieser 30 Meter hohe Koloss war schon von außen beachtlich anzusehen und erinnerte mehr an den großen Bruder eines Kaufhauses als an ein Kino.
Bereits im Kassenbereich war es rappelvoll. Dennoch war alles gut durchdacht, es ging schnell und wie im Kaufhaus führten viele Rolltreppen über viele Stockwerke zu vielen Sälen. Nachdem ich mich mehrmals verlaufen hatte (besser gesagt mit der Rolltreppe verfahren), fand ich den gebuchten Saal dann doch noch. Und ich fragte mich, warum man sich zum eh schon hohen Eintrittspreis auch noch 35 Minuten Werbung antun musste? Aber dann, siehe da, war es plötzlich wieder da: das Kino-Gefühl von damals. Ich habe keine Ahnung, warum es nach Jahren gerade dort in diesem Kino-Kolloseum wieder auftauchte. Es bleibt ein Mysterium.
Fazit: Was die Zukunft des Kinos auch bringen mag
Dass sich das Kino seit Anbeginn an immer wieder neu erfinden musste, gehört zum natürlichen Lauf der Dinge. Die aktuellen Zugpferde heißen Laser-Projektoren für 4K sowie Dolby Atmos für 128-spurigen Audiogenuss. 3D-Filme sind inzwischen schon wieder ein alter Hut, auch wenn ich den Sinn dahinter nie verstanden habe. Vielleicht bringt uns die Zukunft irgendwann ein Virtual Reality-Kino? Oder eine Renaissance des Geruchskinos?
Schade an der Sache ist, dass eine Koexistenz der traditionellen und mittelgroßen Kinos, die früher die Kinolandschaft prägten, mit den auf Technik und Größe fokussierten Palästen kaum möglich ist. Das liegt aber auch am Publikum, das sich wie Schmeißfliegen vom Technik-Feuerwerk angezogen fühlt. Es gibt natürlich weiterhin Programm- und Kommunalkinos als Auswahlmöglichkeit, wo einen weder Mainstream noch 600 m² große Leinwände erwarten. Aber die sind mir persönlich dann wieder zu speziell und alternativ.
Für mich sind es letztendlich die Filme, die einen Kinobesuch rechtfertigen. Und auch wenn ein Großteil moderner Streifen aus teuer produziertem Schrott besteht, so gibt es auch weiterhin welche, die ihren eigentlichen Sinn erfüllen. Sprich, mich als Zuschauer unterhalten, so dass ich mit einem zufriedenen Gefühl den Saal wieder verlasse. Und für dieses Kinoerlebnis brauche ich weder 3D, 4K noch das neueste Dolby mit 128 Tonspuren. Und bestimmt keinen gigantischen Saal, den ich mir mit 600 Leuten teilen muss. Denn irgendwer stört, schmatzt und furzt schließlich immer.
2 Kommentare
Ich gebe zu, dass ich früher auch häufiger im Kino war, aber ich bin mit Cinemaxx gross geworden. Aber irgendwann hat es mich angestunken, dass der Fussboden klebte, die Sitze voll mit Popcorn waren und Leute ständig dazwischen quatschten.
Aber seit neustem gehe ich wieder gern ins Kino, weil jetzt diese supergemütlichen Premium Kinos im Kommen sind. Im Astor Grand Cinema in Hannover heissen diese Plätz Premium Logen. Übergrosse Plüschsessel mit Hocker für die Füsse und Leckerlis werden vom Personal an den Platz gebracht. So macht mir Kino seit langem wieder Spass.
Das ist ein guter Tipp, dank dir! Ich muss mal schauen, ob es solche Premium Kinos hier auch in der Nähe gibt 🙂